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Interview mit Regisseur Christian Wagner
Was hat Sie an dem Drehbuch zu ZEHN WAHNSINNIGE TAGE fasziniert, worin
sehen Sie den Reiz?
Eine erste große Reifeprüfung im Leben des jungen Idealisten
Felix, der noch an Grundwerte unseres Gemeinwesens BRD fest glaubt. Am
Ende ist er ein anderer geworden. Das hat Tiefe, und genau diese Fallhöhe
von Geschichte hat mich gereizt. Ich kenne ja Stefan Dähnert nicht
erst seit der Filmakademie, an der wir beide als Dozenten tätig sind.
Wir sprachen schon öfter über Projekte. Sein Gespür für
Dramaturgie, Spannungsbögen und überraschende Wendungen hat
mir gleich beim ersten Lesen gefallen. Ich bekam das Projekt per E-mail
nach Los Angeles und mußte es auf meinem Laptop lesen, da ich es
nicht ausdrucken konnte. Aber ich konnte nicht aufhören zu lesen.
Dähnert hat sehr genau im selten gezeigten Milieu einer Polizeischule
recherchiert. Das merkt man an den authentischen Details. An den knackigen
Dialogen.
Ich hatte in den letzten Jahren verschiedene Angebote, für das Fernsehen
zu arbeiten. Aber hier schien mir eine Brisanz, ein spezieller Druck in
der Geschichte - ich sagte spontan zu.
ZEHN WAHNSINNIGE TAGE spielt in einer Großstadt. Inwieweit steht
dies im Gegensatz zu Ihren Filmen WALLERS LETZTER GANG und TRANSATLANTIS?
Grundsätzlich sollte die Topographie eines Filmes stimmen. Ob es
jetzt eine Allgäuer Bahnlinie, der Himalaya mit seinen Bergen und
Tälern oder eben der Frankfurter Flughafen ist. Die Motive geben
die Stimmungen und Bilder für den Film ab. Über diese Bilderwelten
versuche ich mich an die Figurenwelt heranzutasten. Wenn z.B. Felix im
Labyrinth des Flughafens verschwindet, entdeckt er unverhofft eine für
ihn neue Welt. Die junge Inderin Ra führt ihn durch eine Schleuse
zu den versteckten Kindern. Das wächst ihm fast über den Kopf.
Ort des Geschehens ist Frankfurt, könnte der Film auch an einem
anderen Ort spielen?
Hier in Deutschland ist der Frankfurter Flughafen sicher der wichtigste
Kristallisationspunkt, eine Art Drehkreuz für internationale Ankömmlinge.
Frankfurt ist zudem als Stadt sozial gesehen extrem multikulturell geprägt.
Die Gegensätze sind unterschiedlicher nicht denkbar. Es ist eine
alles andere als glatte Stadt. Ideal für einen Film. Die Vorbereitungen
zum Dreh allerdings waren ein Horror, da die Flughafengesellschaft FAG,
aber auch beispielsweise die Lufthansa von diesem Projekt nichts wissen
wollten. Insofern waren die Genehmigungen kaum zu bekommen. Jegliches
Negativ-Image soll vermieden werden. Derartige Realitäten und Hintergründe
wollen ausgeblendet sein.
ZEHN WAHNSINNIGE TAGE ist eine Liebesgeschichte, gleichzeitig lenkt
der Film aber auch den Blick auf Missstände unserer Gesellschaft.
Wie wichtig war Ihnen der sozialkritische Aspekt?
Ich bekam das Drehbuch zu einem Zeitpunkt als gerade einige Zeitungsartikel
über ähnliche Fälle berichteten. Ein 16-jähriger Hindi
hatte sich z.B. im November 1998 in Halle in der Untersuchungshaft erhängt,
dann im Frühsommer 1999 flogen zwei jugendliche Afrikaner im Bauch
eines Jumbos erfroren zwischen Belgien und Afrika hin und her. Sie starben
auf dem Weg in die Hoffnung, ein besseres Leben zu finden.
Durch meine Auslandsaufenthalte in Süd Amerika und Asien hat sich
in den letzten zehn Jahren natürlich mein Blick auf diese Problematik
geschärft. Einerseits Globalisierung, Stichwort one world, andererseits
Rassismus und Ausgrenzung von Minderheiten. Natürlich bin ich nicht
so naiv um nicht auch die politischen, sozialen und gesellschaftlichen
Problemfelder dieser Migrationsbewegungen zu sehen. Dennoch frage ich
mich, ob wir da wirklich richtig handeln?
Mit Felix Augen betrachtet, verführt der Film in eine andere Welt.
Felix lernt Ra lieben, da sie nicht nur exotisch und sinnlich ist, sondern
auch integer und engagiert. Wenn so Verständnis für etwas Andersartiges
geweckt werden könnte, wäre viel gewonnen. Gerade deswegen finde
ich diesen Zwiespalt in Felix so spannend.
Für was soll er sich denn entscheiden? Das hat mit Sozialkritik vielleicht
weniger zu tun als mit einer politischen Hintergrund-Dimension, die vor
der Folie einer sinnlichen Liebesgeschichte einen großen persönlichen
Konflikt doppelt spürbar macht.
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Fabian Busch spielt den Polizeischüler Felix. Was war für
seine Besetzung ausschlaggebend?
UNTER DER MILCHSTRASSE war der erste Film, in dem mir damals Fabian Busch
auffiel. Genauso faszinierend wie in 23 neben August Diehl. Ich wollte
bei den drei Buddies von der Polizeischule eine ganz bestimmte, ausgelassene
Energie haben: drei Jungs wie eine Rockband. Noch nicht vom Ernst des
Lebens erfaßt, aber auch nicht völlig naiv.
Wir haben ein großes Casting in Berlin durchgeführt, und man
spürt das sehr schnell, wer für die Rolle prädestiniert
ist: Fabian Busch bringt genau die Mischung von Ernst und Zerbrechlichkeit,
die ich mir erwünscht hatte. Aber auch Oliver Bröcker mit seiner
physischen Präsenz hatte ich schon länger im Auge und nicht
zu vergessen die Entdeckung Rüdiger Klink als Milka, von dem man
sicher noch hören wird.
Aber der eigentliche Glücksgriff war Indira Varma: sie hat original
in Deutsch gedreht und mußte nicht synchronisiert werden. Ich hatte
sie bei einem speziellen Casting in London gefunden. Neben ihrem Theater-Engagement
hat sie sich wochenlang mit einem Dialog-Coach auf ihren ersten deutschsprachigen
Auftritt vorbereitet. Und das hieß: Deutsche Sätze pauken und
polieren, immer wieder. Aber sie war dann am Set derart präsent-
eine wahre Freude. Ihr kommt sicher zu Gute, daß sie bereits in
dem Kinofilm KAMASUTRA die Hauptrolle spielte. Und ich glaube, daß
ihre Präsenz und Ernsthaftigkeit der Rolle die nötige Wahrhaftigkeit
gibt.
Inwieweit hat das Sich-Entscheiden-Müssen etwas mit
dem Alter zu tun und wird die Entscheidungsfindung dadurch bedingt?
Jedes Lebensalter hat für mich persönlich Entscheidungen mitgebracht.
Ich hasse es auch, wenn man auf Jüngere herabsieht. Insofern ist
das, was Felix erlebt, dennoch eine neue Dimension von Erfahrung. Von
mir aus markiert dieser Übergang das Ende der Kindheit und Jugend,
auch das Gewicht der Welt ein erstes Mal verantwortlich zu
ermessen. Felix hat Verantwortung übernommen. Daraus resultiert eine
unglaublich harte, aber auch tiefe Erfahrung. Das starke Stück ist,
daß Felix eine Entwicklung durchlebt, die ihn so in etwas Neues
katapultiert. Und das finde ich enorm positiv, da es am tatsächlichen
Leben ganz nah dran ist.
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