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Das Interview mit Regisseur Christian Wagner führte
Christine Bücken beim Filmfest München 2002 für das arte
TV-Magazin
Wie sind Sie auf das Thema des Films gekommen? Ist Ghetto-Kids eine
reale Geschichte?
Die Geschichte des Films ist zwar erfunden, basiert aber auf wahren Begebenheiten.
Frau Susanne Korbmacher-Schulz, Sonderschullehrerin im Hasenbergl am Förderzentrum
München Nord, hat aus ihren alltäglichen Erfahrungen und aus
verschiedenen Schicksalen erzählt, die uns beeindruckt haben. Davon
ist das fiktive Drehbuch von Gabriela Sperl inspiriert, das sie mir zukommen
ließ und mir angeboten hat. Der Film ist authentisch, aber nicht
dokumentarisch.
Frau Korbmacher-Schulz hat den Verein "GHETTO-KIDS
- Soziale Projekte e.V." ins Leben gerufen. Der Verein trägt
verschiedene "Integrationsprojekte für Ausländer".
Es handelt sich um den Versuch, Ausländer und vor allem Jugendliche
in die Gesellschaft zu integrieren. Dies ist vor allem in einer teuren
Stadt wie München nicht so einfach, da sich ausländische Familien
schon allein aus finanziellen Gründen in billigeren Wohngegenden
wie dem Hasenbergl ansiedeln müssen und sich dadurch von vorne herein
in einem Ghetto mit eigenen Regeln und Verhaltungsmustern von der Gesellschaft
abkapseln.
GHETTO-KIDS wurde fast ausschließlich mit Laiendarstellern gedreht.
Nach welchen Kriterien haben sie die Darsteller ausgewählt? Wie war
die Arbeit mit den Jugendlichen?
Wir haben die Darsteller im Hasenbergl in München aus ca. 280 Jugendlichen
gecastet. Dabei gab es durchaus positive Überraschungen. Maikis (Toni
Osmani) zum Beispiel ist eigentlich ein Kosovo-Albaner und eine richtige
Entdeckung. Natürlich mussten die Kinder erst einmal auf die Dreharbeit
vorbereitet werden, was auch mehr Einsatz meinerseits erforderte. Den
Kindern musste gezeigt werden, wie man überhaupt ein Drehbuch liest
und versteht. Oft kamen Sprachprobleme erschwerend hinzu. Die Kinder haben
aber oft improvisiert und ihre eigene Persönlichkeit mit in den Film
und die Dialoge eingebracht. Das hatte beim Drehen Vor- und Nachteile
und erforderte sehr viel Geduld von den professionellen Schauspielern,
aber auch vom ganzen Team. Man brauchte Nerven wie Drahtseile, denn man
wusste nie genau, ob wirklich alle am nächsten Drehtag auch wirklich
erscheinen würden...
Im Film scheinen Günther Maria Halmer und Barbara Rudnik die
Rolle der Eltern zu übernehmen: Christo braucht eher eine Mutter
und Maikis braucht eher einen Vater. Ist der Film mit Absicht so angelegt,
dass dem Zuschauer die wichtige Rolle der Eltern als Referenz und Halt
klargemacht wird?
Kinder brauchen Sicherheit um sich und ihr Selbstwertgefühl zu entwickeln.
Die Kinder von Immigranten haben oft Schwierigkeiten, sich in eine neue
Gesellschaft einzubinden, da die Eltern in der neuen Umgebung unsicher
und oft hilflos sind. Ich wollte in meinem Film erläutern, dass diese
Kinder oft gar keine Chance haben, ein eigenes Selbstbewusstsein zu entwickeln.
Insofern sind Xaver und Hanna ganz wichtige Personen im Leben dieser Kinder!
Sie übernehmen die Vorbildfunktion, die Eltern eigentlich haben sollten.
Sie fordern von den Kindern Respekt und das Einhalten von gewissen Regeln,
und die Kinder suchen bei den beiden Hilfe, die sie dann auch bekommen.
"Geben und Nehmen", wie Xaver immer sagt.
Kinder sind wie Schmetterlinge. Immer laufen sie Gefahr sich zu verbrennen.
Sie brauchen gewisse Spielregeln. Eine Art Geländer, an dem sie entlang
gehen können. Und genau das fehlt ihnen, wenn es nicht gut vermittelt
wird.
Hanna hat ein paar Jahre in Griechenland gelebt und einen Griechen geheiratet,
mit dem sie einen Sohn bekommen hat.
Als Hannas Sohn eines Tages in der Schule von deutschen Mitschülern
als "Ausländerkind" beschimpft und geschlagen wird, versteht
sie die Welt nicht mehr. Warum diese Szene?
Die Szene zeigt, dass noch ein großes Bedürfnis an Aufklärungsarbeit
herrscht, denn es gibt immer noch deutsche Familien, die durch das Fremde
verunsichert sind und Angst vor dem "Anderssein" haben. Ich
möchte in meinem Film aufzeigen, dass man sich kennen lernen muss,
um sich zu akzeptieren. Aber selbst die in unserem Fall gezeigte Familie
(türkische Minorität im Norden Griechenlands) hat ja selbst
im eigenen Land größte Probleme mit der Akzeptanz. Wie soll
das dann hier anders sein.
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Im Film durchlaufen Maikis und Christo nach vielen Turbulenzen eine
enorme persönliche Entwicklung und es scheint, als seien sie bereit,
sich in die "neue" Gesellschaft einzufügen und auch ihren
Platz zu finden. Wie war das für die Kinder nicht als Schauspieler,
sondern als normale Jugendliche? Haben die Beiden die neue Erfahrung als
Schauspieler genutzt, um sich auch persönlich "zu entwickeln"?
Ja natürlich. Für die Kinder war es eine sehr wertvolle Erfahrung.
Ich denke, dass der Film ihnen mehr Selbstsicherheit gegeben hat. Es war
für sie auch eine Möglichkeit zu beweisen, dass sie durchaus
im Stande sind etwas zu leisten, und sie waren sehr stolz auf das Ergebnis.
Durch den Film haben sie gemerkt, dass sie "gebraucht" werden
und hatten eine konkrete Aufgabe, die es zu bewältigen galt und die
sie vollbracht haben. Das größte Kompliment für den Film
aber kam von IQ (Alexander Adler) nach der Premiere auf seine typisch
freche Art und Weise: Der Film ist besser als ich gedacht habe.
Was will man mehr.
Haben sie filmische Vorbilder gehabt wie zum Beispiel
den sozialkritischen Film über die Pariser Banlieus La Haîne
(Hass)?
München ist natürlich nicht Paris. Die Vororte von Paris sind
im Vergleich zu München ein richtiges Pulverfass. Auf der anderen
Seite ist es so, dass gerade in München kein Mensch vermuten würde,
dass es so etwas überhaupt gibt. Es gibt viele Probleme, die einfach
an den Rand gedrängt werden. Neben der Schicki-Micki-Seite gibt es
eben auch die Schattenseite Münchens.
Wie hat die Stadt München auf den Film reagiert?
Die Stadt hat sich absolut dagegen gewehrt. Wir haben zum Beispiel auf
den öffentlichen Plätzen in München in der Innenstadt enorme
Probleme gehabt. Das war ein totaler Spießroutenlauf und die Aufnahmeleiterin
hat einen Nervenzusammenbruch nach dem anderen gehabt. Leider scheint
in Deutschland der Imageberater manchmal wichtiger als die Realität
zu sein. Und andererseits haben wir auch Unterstützung gehabt: BMW
hat uns beispielsweise auf dem Werksgelände filmen lassen.
Wie kam es zu den Breakdance- und Rap-Elementen?
Als ich das erste Mal das Buch gelesen habe, habe ich nicht geglaubt,
dass Breakdance überhaupt noch aktuell ist. Ich dachte eher, da versucht
man vielleicht eine sozial explosive Geschichte mit Raps toll zu verpacken.
Es war dann für mich spannend, dass das hier in der Szene wirklich
noch total aktuell ist und viele wirklich breaken und rappen. Erst gestern
hat mir der Fati, der den Ringo spielt einen neuen Rap vorgemacht und
jetzt haben sie ja auch eine CD aufgenommen mit dem Titel SchlagZeilenLife.
Mir war es nämlich sehr wichtig einen ehrlichen und möglichst
authentischen Film über die Situation da draußen zu machen
und keinen Film im Stil von modischen Videoclips.
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