|  |         Der Blick in die Ferne ist der Blick nach hinten
 TRANSATLANTIS erzählt von der Suche nach unerfüllten Träumen 
        eines erfolgreichen Physikers. Welche Rolle spielen die Traumsequenzen 
        im Film?Der Film ist sehr komplex erzählt mit verschiedenen Ebenen: Es geht 
        um Realität, es geht um sagenhaftes Wissen und mythisches Wissen, 
        um Träume und Visionen.
 Alle Träume, die in dem Film vorkommen, haben klare Funktionen, z.B. 
        der mit dem Floß, das gegen den Strom schwimmt und zum Ursprung 
        fährt. Das ist die Entwicklung, die Neuffer durchläuft und die 
        zentral für den Film ist.
 Ohne dieses surreale Moment, ohne die Träume hätte ich TRANSATLANTIS 
        gar nicht machen wollen.
 Das Besondere an Ihrer Arbeitsweise ist laut Jürgen Tröster, 
        Produktionsleiter bei TRANSATLANTIS und auch bei Ihrem vorigen Film WALLERS 
        LETZTER GANG, daß Sie ihre Motive und Drehorte erlaufen.Ich schreibe meine Drehbücher erst, wenn ich die entscheidenden Drehorte 
        kenne wie meine Westentasche. Auf dem Plateau beispielsweise bin ich immer 
        wieder herumgewandert und wußte zum Schluß genau, wo welche 
        Einstellung gedreht werden sollte. Diese genaue Kenntnis der Locations, 
        und damit der Welt, in der die Filmfiguren agieren, hat dann etwas mit 
        mir und meiner Wahrnehmungswelt zu tun. Den Reschensee mit der Kirchturmspitze, 
        die aus dem Wasser ragt, kenne ich seit frühester Kindheit - dieses 
        einzigartige Motiv hat von vornherein zu meiner Vorstellung von Atlantis 
        gehört: das einmal Untergegangene, das wieder auftaucht...
 Der Drehort Gottesacker-Plateau auf knapp 2000 m Höhe 
        im Oberallgäu erforderte eine spezielle Logistik. Ein Zeltlager für 
        eine Übernachtung mußte aufgebaut, alles Nötige von der 
        Seilbahn zu Fuß eine Stunde dorthin getragen werden.Sicherlich war dies ein Riesenaufwand, nicht nur in Tibet. Und trotz perfekter 
        Vorbereitung bleibt man letztlich der Natur ausgeliefert. Dieses Nebelmeer 
        beispielsweise, wie Neuffer es in den Allgäuer Bergen sieht, zieht 
        an nur wenigen Herbstmorgen auf und verschwindet wieder, als wäre 
        es nie dagewesen. Diese seltene Stimmung mit der Kamera zum entscheidenden 
        Zeitpunkt einzufangen, ist natürlich ein absolutes Vabanque-Spiel. 
        Es hätte auch passieren können, daß wir gerade an diesen 
        wenigen Tagen in Nepal oder Tibet gewesen wären. Dann hätte 
        ich auf den nächsten Herbst warten müssen.
 Bei der Schlußeinstellung von WALLERS LETZTER GANG mußten 
        wir auch auf den Tag X mit dieser herbstlichen Nebelstimmung warten. Und 
        irgendwann kommt er dann. Man muß nur die Nerven behalten, der Intuition 
        vertrauen.
 Der Film versucht die Antworten in Bildern zu geben, weniger mit Worten. 
        Entscheidende Szenen waren kompliziert zu drehen.
 Haben Sie über Alternativen nachgedacht, wie diese Bilder einfacher 
        zu realisieren gewesen wäre?Die wichtigste Einstellung des Films war nun einmal nur auf 2000 Meter 
        Höhe in diesem unwegsamen Gelände zu drehen. Diese Vision mußte 
        dort realisert werden. Bestimmte intensive Bilder, von denen ich fast 
        sagen möchte, daß sie eine Obsession darstellen, spuken so 
        lange in meinem Kopf herum, bis sie in einem Film erlöst sind.
 Warum war es dann nötig, auch noch in Nepal und Tibet zu drehen?Im Sinne der Geschichte und der Konstruktion muß Neuffer am Ende 
        in eine absolute Kargheit kommen. Bevor er mit Nele im Himalaya den See 
        erreicht, wird es auf einmal total still. Und dann fahren sie nach der 
        Verhaftung durch die Leere dieser Ruinenlandschaft in Tibet, auf einem 
        chinesischen Lastwagen. Da ist nichts mehr, einfach nur Zerstörung 
        , der umgekehrte Prozeß der Zivilisation - die Bilder sind nicht 
        nur Tibet, sondern Metapher für Nomadsland, für 
        TRANSATLANTIS .
 War es denn nicht schwierig, überhaupt eine Drehgenehmigung für 
        Tibet zu erhalten? Es scheint ja einer der ersten Spielfilme zu sein, 
        die dort gedreht wurden?Es hat mich ungefähr zwei Monate Recherche gekostet, bis ich ansatzweise 
        ahnte, wie es gehen könnte. Als ich das Projekt begann, haben viele 
        Leute zu mir gesagt, du wirst in Tibet sowieso nie drehen, also schlag 
        dir das mal aus dem Kopf. Natürlich habe ich auch nach Alternativen 
        gesucht, aber diese entsogene, leere Landschaft gibt es einfach nur hier. 
        Man muß wirklich nach Tibet fahren, um dieses grandiose Licht auf 
        dem Hochplateau zu finden.
 Der Film beginnt 160 Meter unter der Erde und endet auf 5200 Metern 
        Höhe. Ist es nicht eine enorme Strapaze, in jenen Höhen-Regionen 
        die Kamera aufzustellen?Die Luft dort ist sehr dünn, jede Bewegung des Schauspielers und 
        jeder Schritt bei der Inszenierung kostet enorme Energie. Ein Drehortwechsel 
        muß dreimal überdacht werden. Aber das gehört zu diesem 
        Film elementar dazu, jedes Teammitglied mußte eine physische und 
        psychische Anstrengung durchmachen. Auch für mich war es eine Grenzsituation: 
        als wir dann an der chinesischen Grenze gedreht haben, war der Nervenstreß 
        einfach ganz, ganz stark. Man steht unter Zeitdruck, man weiß nie 
        genau, wie lange kann man noch drehen? Jederzeit kann ein Officer kommen 
        und sagen: Was macht ihr hier? Schluß! Man muß 
        wahnsinnig konzentriert und fix arbeiten.
 Zu einem Drehort im Dolpo, Nepal waren Sie 6 Tage unterwegs - mit 
        20-köpfigem Team und 70 Sherpas. Wollten Sie dem Team zeigen, was 
        es heißt, Motive zu erlaufen oder zwang Sie das Budget 
        von 3,5 Millionen Mark zur Minimierung der Transportkosten?Dadurch haben wir bestimmt kein Geld gespart, es waren hauptsächlich 
        inhaltliche Gründe, aber auch die Akklimatisierung. Entscheidend 
        ist doch nur, ob etwas wirklich wichtig und unentbehrlich ist. Wenn es 
        hätte sein müssen, dann hätte ich für die Geschichte 
        die Leute auch auf 8000 Meter auf einen Gletscher gebracht. Bestimmte 
        äußere Situationen können dazu beitragen, daß auch 
        innerlich eine Konzentration stattfindet, eine Eigendynamik, die auf die 
        gedrehten Szenen wirkt.
 Gut, der Daniel Olbrychski ist der Auffassung, daß er das schaupielerisch 
        jederzeit herstellen kann. Daß er ein sehr guter Schauspieler ist, 
        steht außer Frage, aber ich glaube, man kann z.B. diese physische 
        Erfahrung, die ihm nach dem Trekking von sechs Tagen auch ins Gesicht 
        geschrieben steht, nicht einfach so spielerisch herstellen. Das hat dann 
        mit dem Bart zu tun, das hat mit Falten zu tun. Darauf möchte ich 
        eigentlich nicht verzichten. Für die Geschichte ist die Erfahrung 
        wichtig, hier im Himalaya ein Trekking gemacht zu haben. Man merkt, wenn 
        man morgens aufsteht, daß man im Schlafsack geschlafen hat und nicht 
        im Himmelbett. Man muß sich hier im See, im Fluß waschen, 
        und spüren wie kalt es ist. Die Haare sind anders, man ist verstaubt.
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   Das Ziel der Trekking-Tour war der abgelegene Phoksundo-See im Dolpo 
        im Westen Nepals.Der Phoksundo-See, der tiefste See im Himalaya, hat eine seltene Magie. 
        Im ersten Moment, als wir da über die Kuppe kamen und den See sahen, 
        lag er vollkommen unscheinbar in einem merkwürdigen blassen Blau 
        vor uns. Und alle waren eigentlich zuerst mal enttäuscht, und sagten, 
        was, deswegen sind wir hier heraufmarschiert. Mir ging es auch so. Ich 
        hatte das anders in Erinnerung und auch anders fotografiert. Und dann 
        haben sich aber innerhalb einer Stunde Wind und Licht geändert und 
        der See war sehr schillernd und schön. Punkt. Wie solche Einstellungen 
        dann zustandekommen, interessiert das Publikum im Kino aber später 
        nicht.
 Das sinkende Nebelmeer erinnert an Bilder Caspar David Friedrichs; Neuffer 
        hat seine Vision auf einem Berg, dem Ort innerer Erhöhung, darin 
        folgt TRANSATLANTIS Topoi der Romantik.
 Sicher spielt TRANSATLANTIS auch auf Wanderer im Nebelmeer 
        von Caspar David Friedrich an, aber dieses Nebelmeer ist zuerst einmal 
        ein ganz starkes, zentrales Bild meiner Kindheit. Wer dieses Motiv einmal 
        selber in den Bergen gesehen hat, wie fast jeder, der dort aufgewachsen 
        ist, wird sofort wissen, wovon ich spreche. Die Bergspitzen ragen dann 
        wirklich nur noch als kleine Inseln aus dem Nebel.
 Aber stärker als Caspar David Friedrich, dessen Figuren auch oft 
        in die Ferne des Horizonts blicken, hat mich ein anderes Gemälde 
        inspiriert: Im Museum Of Modern Art, New York, hängt 
        Die Erwartung von Richard Oelze, worauf eine Gruppe von Menschen 
        zu sehen ist, dem Betrachter den Rücken zugewandt. Der Blick in die 
        Ferne ist der nach innen. Die Erwartung paßt als Generalthema 
        zu TRANSATLANTIS, weil sich Neuffer genau in dieser erwartungsvollen Situation 
        befindet.Der Film hat etwas mit einer grundmenschlichen Situation zu tun: 
        daß wir immer irgendwas erwarten und denken, aus unserem Leben wird 
        noch etwas Bestimmtes werden. Wir wissen nicht was, aber wir haben die 
        Hoffnung, daß irgendwann die große Liebe, die große 
        Karriere, das große Geld, das große Glück oder ich weiß 
        nicht was kommt: ein sehr wichtiges Lebensprinzip, wie ich glaube. Und 
        gleich am Anfang des Films kommt Neuffer zurück ins Allgäu und 
        sieht auf einem Hügel eine fremd wirkende Ansammlung von Menschen: 
        die Erwartung. Dieses Motiv zieht sich als Tryptichon durch 
        den Film. Und selbst in Tibet sind Nomaden da, die etwas anderes erwartet: 
        sie werden verhaftet, abgeführt, abtransportiert ...
 Im CERN arbeiten europäische Wisenschaftler daran, mit enormem 
        Kräfteaufwand den Urknall zu simulieren. Der Physiker Neuffer gerät 
        selbst in ein Kräftefeld, das ihn aus seinem Forschungszentrum über 
        die Allgäuer Heimat bis in den Himalaya treibt. Gibt ein Mann eine 
        Karriere auf, um einen Aufbruch zu wagen?Im Fall Neuffers kann die Vision vom nicht versunkenen Atlantis nur eine 
        Metapher sein für eine andere Suche: für die Suche nach der 
        persönlichen Traumwelt, nach der verlorenen Utopie. Immer wieder 
        geht es um die Phase des Zweifelns, ein Hinterfragen des Lebensweges, 
        eine Überprüfung des Vorgehens. Aus der anfänglichen Agonie, 
        aus der Trauer verbunden mit dem Abschied vom Alten, entsteht etwas Neues. 
        Es ist auch eine Frage des Erkenntnisinteresses: der Kommissar will den 
        Mord klären, Neuffer seinen Traum.
 Ich wollte einen zeigen, der höchst erfolgreich ist und dann mit 
        elementaren Fragen konfrontiert wird. Wobei das sicherlich verstärkt 
        wird durch den Tod der Mutter. Wenn man den Film ganz genau anschaut, 
        dann gibt es eine Nahtstelle: das Nebelmeer, das zweimal vorkommt. Die 
        Mutter stirbt eigentlich nach der Nebelmeer-Sequenz. D.h., es ist schon 
        in dem komplett visionären Teil, es könnte auch seine Imagination 
        sein, seine Angst, daß die Mutter stirbt und er sich ausmalt, was 
        dies für ihn in der Konsequenz bedeuten würde...
 Ein Wissenschaftler verläßt seine Frau, verliert sich in 
        der Vergangenheit und bricht mit einem jungen Mädchen auf zu einem 
        Abenteuer. Ein ganz normaler Fall von midlife crisis?Das ist hier doch nicht das Thema: Egal in welcher Lebenssituation man 
        sich befindet, ob man am Höhepunkt seiner Karriere steht oder nicht, 
        ob man eine glückliche oder weniger glückliche Ehe führt, 
        ob reich oder arm, man kann jederzeit in so eine lebensentscheidende Phase 
        kommen: Was ist es eigentlich, was mich zutiefst innerlich betrifft, was 
        möchte ich mit meinem Leben machen; ist das, was ich momentan realisiere 
        und wie ich mir mein Leben eingerichtet habe, eigentlich genau das, was 
        ich wirklich will. Das könnte auch die Sprengkraft von so einer Geschichte 
        sein, die jeden einzelnen berührt, weil wir damit ständig beschäftigt 
        sind, wenn wir es nicht verdrängen.
 Ein Wissenschaftler strandet mit seiner Vision in einer archaischen 
        Wüstenlandschaft - ein Gescheiterter oder ein Geläuterter?Ich habe lange über den Schluß nachgedacht und interessanterweise 
        hat jeder, der den Film begleitet, seine eigene Version des Schlusses. 
        Und so muß auch jeder Zuschauer seinen eigenen Schluß finden: 
        eine Verstörung im positiven Sinne, weder mit einem Happy End noch 
        mit einer Tragödie im Bauch nach Hause zu gehen Sondern man muß 
        für sich selber nachvollziehen, was hat der Mann eigentlich wirklich 
        gemacht und was würde man selbst anstelle von Neuffer tun.
 Neuffer scheitert an einer Grenze letztlich - und zwar relativ mysteriös 
        wegen der Uhr. Abstrakt gesprochen: er stößt an seine Grenze, 
        die Grenze des naturwissenschaftlichen Denkens, das er nicht hinter sich 
        lassen kann. Und dann kommt er ins Gefängnis.
 Deswegen wird er ja am Anfang so erfolgreich und mondän gezeigt. 
        Und dann kippt die Figur eben. Scheibchenweise. Und zum Schluß ist 
        er ein komplett anderer Mensch im Himalaya. Vollkommen zerzaust.
 Ich glaube, man muß sich bei TRANSATLANTIS von bestimmten Stimmungen 
        und Bildern, Sätzen und Arrangements dahintragen lassen, einfach 
        mitgehen und dann an sich selbst beobachten, was passiert. Mich hat die 
        Geschichte jetzt fünf, sechs Jahre
 beschäftigt - die verzweifelte Sinn und- Spurensuche eines Mannes. 
        Ein Mehr an Auflösung ist im Moment nicht zu verantworten. Und vielleicht 
        ist es besser, richtige Fragen zu stellen als falsche Antworten zu geben...
 (Ausschnitte aus Interviews, die Guido Wenzl für seinen Dokumentarfilm 
        Zweiunddreißig Richtungen der Windrose über die 
        Dreharbeiten von TRANSATLANTIS mit Christian Wagner führte) |